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Winter am Dnister ohne russisches Gas – DW – 09.01.2025


Es ist kalt in den ersten Tagen des Jahres 2025 in der Republik Moldau. In den Nächten liegen die Temperaturen um den Gefrierpunkt. An den Tagen steigen sie bei Sonnenschein etwas an. An diesem 7. Januar gibt es bei Familie Colun Krautwickel mit Fleisch: Zusammen mit seiner Frau bereitet der Rentner Gheorghe Colun das traditionelle Weihnachtsessen vor. Denn hier, in der mehrheitlich vom christlich-orthodoxen Glauben geprägten Republik Moldau, wird Weihnachten nach dem alten julianischen Kalender am 6. und 7. Januar gefeiert.

Moldau: Das Dorfleben ohne Gas aus Russland 

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Doch das Kochen geht jetzt nur noch auf einem Holzherd. Denn seit dem 1. Januar 2025 hat Russland die Gaslieferung an die Republik Moldau eingestellt. “Schauen Sie mal, wir haben kein Gas. Licht schon, aber Gas nicht. Wir können nicht mal einen Tee kochen”, erzählt der Rentner empört.

Isoliert im eigenen Land

Die Coluns leben in einem kleinen Haus im Dorf Cocieri am Fluss Dnister in Transnistrien. Die Region, die sich zwischen dem Fluss und der ukrainischen Grenze erstreckt, wird von einer aus Moskau gestützten separatistischen Führung regiert und de facto von Russland kontrolliert. Der Dnister stellt die Grenze dar. Das 4000-Seelen-Dorf Cocieri allerdings liegt in einer Enklave in diesem Separatistengebiet, die wiederum unter der Verwaltung der Republik Moldau steht. Doch um von hier auf das von Chisinau kontrollierte Staatsgebiet westlich des Dnister zu kommen, müssen die Bewohner des Dorfes mit der Fähre übersetzen.

Doch obwohl ihr Dorf von den moldauischen Behörden verwaltet wird, ist es noch immer an die alten russischen Pipelines angeschlossen und kann deswegen kein Gas aus Chisinau beziehen. Die Republik Moldau importiert seit dem Beginn des vollumfänglichen Kriegs gegen die Ukraine im Jahr 2022 kein Gas mehr aus Russland, sondern vom europäischen Markt. Die Separatistenregion jedoch wurde weiterhin von Moskau versorgt.

“Am 1. Januar um 9:00 Uhr wurde der Gasfluss unterbrochen”, berichtet Gheorghe Colun. “Ich habe die Gaszentralheizung ausgeschaltet. Das, was die Russen anrichten, ist Terror. Anders können sie nicht. Mit der zivilisierten Welt kommen sie nicht zurecht”.

Ein Mann in einer hellbraunen Jacke mit einer gemusterten Wollmütze auf dem Kopf steht in einem Hof vor einem blauen Metalltor und lädt dicke Holzscheite in eine Schubkarre
Der Rentner Gheorghe Colun hat vorgesorgt und Holz eingelagert, um über den Winter zu kommenBild: Simion Ciochina/DW

Der Rentner wusste, dass die Region ab Januar kein Gas mehr aus Russland bekommen würde. Denn an diesem Tag liefen die Vereinbarungen über den Gastransit zwischen dem russischen Staatskonzern Gazprom und der Ukraine aus. Seit dem Neujahrstag liefert Russland damit auch kein Gas mehr nach Transnistrien. Colun sorgte vor und kaufte rechtzeitig genug Brennholz. Davor hatte auch er, wie alle Einwohner Transnistriens, einen symbolischen Preis für das russische Gas gezahlt. Er ist sich bewusst, dass auch wenn die Krise eines Tages überwunden wird, die Menschen nicht in der Lage sein werden, einen höheren Gaspreis zu bezahlen.

Humanitäre Krise

In den Dörfern kann man noch mit Brennholz und Kohle zurechtkommen, sagt Colun. Doch er habe auch Freunde in den transnistrischen Städten. Dort sei die Situation dramatisch. Die Menschen säßen in der Kälte, ohne Heizung und ohne Gas zum Kochen.

Seitdem Russland den Hahn abgedreht hat, befindet sich Transnistrien in einer energetischen, aber auch humanitären Krise. Die zentrale Wärmeversorgung wurde abgeschaltet. Mehrere Fabriken wurden geschlossen. Die Schulen und Universitäten können wegen der Kälte nur Online-Unterricht anbieten. Tausende Menschen sind ohne Arbeit.

Eine Straße zwischen niedrigen Häusern und kahlen Bäumen
Das Dorf Cocieri liegt in einer von der moldauischen Regierung verwalteten Enklave auf dem Gebiet der abtrünnigen Region TransnistrienBild: Simion Ciochina/DW

In sozialen Medien werden Videos gepostet, in denen der tägliche Kampf der Einwohner mit der Kälte gezeigt wird. In der Stadt Dubasari zum Beispiel, wo es viele Hochhäuser gibt, haben die Menschen keine Zentralheizung. Viele haben sich elektrische Heizkörper als Ersatz angeschafft. Doch mit den Geräten klappt es auch nicht wirklich: Aufgrund des gestiegenen Stromverbrauchs sind die Leitungen überfordert. Die Behörden in Tiraspol müssen daher die Stromversorgung teilweise unterbrechen. Mittlerweile gibt es an bis zu acht Stunden pro Tag keinen Strom.

Und trotzdem bleibt die von den Behörden in Chisinau erwartete Migration über den Dnister bislang aus. Die meisten Menschen in Transnistrien ertragen die Kälte, überwiegend klaglos, auch wenn die Situation von Tag zu Tag schlimmer wird. 

Chance zur Lösung des Transnistrien-Konflikts?

Die moldauischen Behörden haben sich bereit erklärt, im Falle einer Verschärfung der Lage die Menschen in der Separatistenregion mit Nahrung und Medikamenten zu versorgen. Die Machthaber in Tiraspol bestreiten jedoch, solche Angebote aus Chisinau bekommen zu haben. Die Behörden in der transnistrischen Hauptstadt machen die Regierung in Chisinau verantwortlich. Sie sei “durch das bewusste Ignorieren der zahlreichen Probleme in den Beziehungen mit Gazprom an der Energiekrise schuld”.

Ein Mann in einem dunklen Pullover sitzt an einem Schreibtisch hinter einem Mikrofon der DW
Der Energieexperte Sergiu TofilatBild: Simion Ciochina/DW

Der moldauische Energieexperte Sergiu Tofilat glaubt, dass die aktuelle Krise eine Chance zur Lösung des Transnistrien-Konflikts sein könnte: “Laut dem Vertrag mit Gazprom ist Russland verpflichtet, Gas an die Grenze zur Republik Moldau zu bringen. Es gibt die Alternative, Gas, statt durch die Ukraine über die Türkei zu transportieren. Es ist aber so, dass Putin beschlossen hat, Transnistrien erfrieren zu lassen, um Druck auf Chisinau und Kyjiw auszuüben. Putin ist daran interessiert, den Gastransit durch die Ukraine wieder fortzusetzen, weil er sonst jährlich 6,5 Milliarden Dollar verliert. Er braucht Geld, um den Krieg in der Ukraine zu finanzieren”, sagt der Experte im Gespräch mit der DW.

Mit dem Krieg in der benachbarten Ukraine und den damit verbundenen Risiken für seine Familie musste Gheorghe Colun schon längst klarkommen. Auch wegen der Dauerkrisen in seiner Heimat hat er sich jetzt sorgfältig auf den Winter vorbereitet. Zumindest für dieses Jahr habe er genug Brennholz. Was die Zukunft bringt, weiß er aber nicht. In seinem Dorf, eingeklemmt zwischen dem Separatistengebiet und dem Fluss, lebt man für den Moment. Und so macht es auch das Rentnerpaar. Es freut sich jetzt erst einmal auf die Enkelkinder, die gleich zu Besuch kommen. Denn jetzt wird mit einem guten warmen Essen Weihnachten gefeiert.

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